Im April 1933 begann unsere Schulzeit im Lyzeum an der Schulstraße. Als stolze Sextanerinnen trugen wir die Matrosenmützen mit dem Ripsband blau mit weißem Rand. In der Quinta war es gelb und in der Quarta rot (das war eine Anlehnung an die Jungen auf der Höheren Staatsschule mit ihren Schülermützen – je nach der Klasse andersfarbig).
Wir waren zwei Parallelklassen mit je etwa 25 Mädchen. Unsere Klassenlehrerin war Fräulein Radeck, die ziemlich streng war und manchmal zornig etwas auf den Boden warf (ein Englischbuch). Wir hatten auch Handarbeit bei ihr. Wir nähten ein Hemd aus Linon mit angeschnittenen Trägern. Die Ränder mussten zweimal umgekippt und mit Stecknadeln befestigt werden. Da warf sie einem Mädchen einmal zornig das Hemd mitsamt den Stecknadeln ins Gesicht!
Die anderen Lehrerinnen waren nett und freundlich: Frl. Knaudt und Frl. Spreckelsen. Die machten uns viel Vergnügen: Wir mussten ja den Hitlergruß benutzen, also auch die Lehrer, wenn sie die Klasse betraten. Sie hatte immer ein Schlüsselbund in der rechten Hand, sodass sie die Hand nicht ausstrecken konnte!
Am Wochenanfang versammelten sich alle Klassen in der Aula zu einer Morgenandacht. Später hissten wir die Hakenkreuzfahne auf dem Dach, im Winter war es dann eine Morgenfeier in der Aula. Daneben war der Musikraum, durch Falttüren abgetrennt mit ansteigenden Klappsitzen. Auch der Schulchor fand da statt.
Wenn wir einen gemischten Chor brauchten, kamen die vier Lehrer dazu, das war natürlich sehr lustig. Einmal hatten wir etwas Besonderes eingeübt. Davon wurde eine Schallplatte hergestellt. Wir standen vorne in der Aula und oben auf der Galerie nahm der Hausmeister das Stück auf, in eine Wachsplatte. Er hatte das schön geschafft und legte die Platte zur Seite, leider auf die warme Heizung, so schmolz das Ganze. Wir machten keinen weiteren Versuch mehr.
Für die Turnstunden hatten wir ja die schöne Halle. Mit der Leichtathletik war es schwierig. Wir liefen die 50 Meter in der Schulstraße auf dem Fußweg. Ballwerfen fand auf dem Schulhof statt. Da war auch eine Sprunggrube, neben dem Fahrradschuppen. Der wurde von den Auswärtigen im Sommer benutzt. Sie hatten ja zum Teil lange Wege durch Wind und Wetter. Im Winter fuhren sie mit dem Bus oder der Bahn. Schulbusse gab es natürlich noch nicht. Als der Jahnplatz gebaut worden war, wurde er von den beiden höheren Schulen benutzt. Wenn unser Klassenraum auf der Seite war, hatten wir oft Interessantes zu beobachten. Auf der Westseite des Schulgeländes waren ursprünglich Weiden, die zu Schrebergärten wurden. Da hatten wir einen Schulgarten, wo wir Biologiestunden zum Beispiel bei Fräulein Waldhausen hatten.
Leider wurde wohl 1935 der Französischunterricht abgeschafft. Das war wahrscheinlich eine Auswirkung der Umgestaltung. Alle Höheren Schulen hießen jetzt „Oberschule“. Und wir waren nun „Oberschule für Mädchen, hauswirtschaftliche Form“. Mädchen, die eine wissenschaftliche Ausbildung wollten, konnten in der Jungenschule weitermachen. Wir hatten schöne Schulfeste. Im Sommer war das Buschfest.
Die ganze Schule zog mit Blumenkränzen nach dem Brockeswald, zu Warnecke. Auf dem Sportplatz dort machten wir Wettkämpfe und Vorführungen. Die Eltern konnten da Kaffee trinken und zusehen. Beim Winterfest waren viele Klassen umgestaltet. Eine Klassenkameradin war eine begabte Zeichnerin und Malerin. So hatten wir zweimal sehr schöne Räume gänzlich umgestaltet, mit tanzenden Tirolern auf dem Vorhang und mal eine Schlaraffenland-Saftstube.
Klassenfahrten gab es nicht. In der Mittelstufe fuhrenwir einmal in die Lüneburger Heide, zum Wilseder Berg. In der Oberstufe besuchten wir Helgoland. Das war ein Erlebnis, das schöne Unterland, von dem eine steile Holztreppe zum Oberland führte, machte uns großes Vergnügen!
Wir bekamen eine neue Mitschülerin aus Hamburg. Sie hatte einen anderen Stil als wir biederen und fröhlichen Mädchen. Sie brachte einen anderen Ton in die Klasse. Einmal sollten wir eine Arbeit schreiben und waren in die Doppelklasse bestellt worden. Es war wohl ein schwieriges Thema (wir wissen jetzt nicht mehr, um welches Fach es sich handelte). Nun wurde die ganze Klasse aufgewiegelt, die Arbeit abzulehnen und nicht zu schreiben. Unsere junge und sehr beliebte Lehrerin war fassungslos und ratlos. Schließlich gingen wir wieder nach unten in die Klasse und besprachen wohl noch einmal das Thema. Die Arbeit haben wir nicht geschrieben. Vielen von uns war die Sache sehr unangenehm und wir schämten uns noch Jahre danach, dass wir das gemacht hatten.
Im letzten Jahr der Mittelstufe wurden unsere beiden Parallelklassen zusammengelegt. Das war eine Umstellung für uns! Doch erlebten wir eine schöne Abwechslung. Wir hatten in Deutsch eine neue Lehrerin bekommen. Sie hatte mehrere Jahre an einer deutschen Schule in Südamerika unterrichtet. Nun schrieb sie ein Theaterstück „Die Gründung der Kolonie Blumenau“, das wir aufführten. Blumenau bereitete seine Ausreise in einem kleinen Ort vor und fuhr auf einem Schiff nach Amerika. Er hatte noch einige „Mitreisende“, zum Beispiel ein junges Mädchen, das vor einer Heirat fliehen wollte. Daraus ergab sich eine nette Liebesgeschichte. Fräulein Fitschen hatte für die ganze Klasse Rollen vorgesehen. Außer den Hauptpersonen war die Schiffsbesatzung zu besetzen. Das Ganze hat viel Spaß gemacht und wurde zweimal erfolgreich aufgeführt.
Mit diesem Schuljahr war die „Mittlere Reife“ erreicht. Viele Mädchen gingen von der Schule ab und es blieben nur elf übrig. Wir begannen nun in der Oberstufe die „Hauswirtschaftliche Form“. Unsere neuen Fächer waren: Hauswirtschaft, Kochen, Gesundheitslehre. Dazu kam die Praxis: Im ersten Jahr waren es vier Wochen in einem Kinderheim in Duhnen und Cuxhaven. Wir wohnten da auch in der Zeit. Am schwierigsten war das Versorgungsheim in der Grodener Chaussee, mit Arbeit von Säuglingen bis zu Senioren.
Im zweiten Jahr waren wir im Dobrock in der Landwirtschaft. Da unser Direktor enge Beziehungen dahin hatte, waren schon seit vielen Jahren Mädchen aus unserer Schule dort gewesen und viele Freundschaften hatten sich ergeben. Am Ende wurde immer ein Ausflug mit Pferd und Wagen, Bauern und Schäferinnen durch Hadeln gemacht. Dieses Vergnügen hatten wir aber nicht, denn da kam der Kriegsausbruch. Wir wurden gleich von der stellvertretenden Schulleiterin, der Oberin Dr. Meyer (Direktor Junge, Vater von Hilde, war schon im Juli eingezogen worden), am 1. September zurück nach Hause geholt. Die schöne Zeit für unsere Klassengemeinschaft mit dem gemeinsamen Wohnen in der Jugendherberge brach so abrupt ab, aber der Zusammenhalt blieb auch später (wir haben viele Jahre regelmäßig ein Klassentreffen gemacht.)
Das dritte Praktikum fand in einer kinderreichen Familie statt. Wieder waren die Plätze sehr unterschiedlich von der Arbeiterin im Ostblock bis zum Arzthaushalt. Aber es war immer interessant und lehrreich. Diesmal konnten wir zu Hause schlafen. Das war ja nun unser letztes Schuljahr. Es gab manche Schwierigkeiten, zum Beispiel, weil Lehrer Soldat wurden. Wir haben doch alles geschafft. Ein Jahr vorher wurde übrigens die Schulzeit verkürzt, statt 13 waren es nun noch zwölf Jahre. So machten wir also am 11. März 1941 unser Abitur. Damit war unsere Schulzeit beendet und wir stellten uns auf den vor uns liegenden Reichsarbeitsdienst ein.
Als wir 1929 in die Grundschule gekommen waren, hatte die 1. Klasse die Nr. 8. Nach den verschiedenste Zählweisen im Laufe der Jahre hatte die Oberprima auch die Nr. 8. Wir fanden es recht lustig, in der 8. Klasse anzufangen und nach zwölf Jahren aus der 8. Klasse wieder aus der Schule zu kommen.
Irmgard Brauns und Hilde Junge
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